Stephan Rechberger
Informatiker & Historiker
Bonn, Museum Alexander Koenig.- Eröffnungsfeier des Parlamentarischen Rates. Ansicht des Gebäudes. 1. September 1948.
In diesem Jahr, 2019, wurde das Grundgesetz 70 Jahre alt. Außer einigen routiniert wirkenden Gedenkveranstaltungen, wenigen nett, wohlwollenden Reden und noch einer Handvoll Artikeln in der einen oder anderen Zeitung, wurde nicht viel über dessen Entstehung, Ideen und historischen Kontext berichtet. Das ist bedauerlich, markiert doch das Grundgesetz den Anfang der zweiten Republik auf deutschen Boden, nach einem der tiefsten Punkte der Menschheitsgeschichte, der faschistischen Hitlerdiktatur, dem Holocaust und der totalen Niederlage eines Weltkriegs. Das war, neben der Erinnerung an den Untergang der ersten deutschen Republik, der furchtbare Rahmen der Erfahrungen, die diesen fundamentalen Gesetzestext der zweiten repräsentativen Demokratie entscheidend mitprägten.
Gruppenaufnahme mit FDP-Vorsitzender Theodor Heuss Menzel, Walter; Schmid, Carlo; Heuss, Theodor Abstimmung über das Grundgesetz im Parlamentarischen Rat
Darüber hinaus ging die Initiative für diese Verfassung wesentlich von den drei westlichen Alliierten aus, die damit auf eine Weststaatengründung drängten. Somit ist dieser Verfassungstext auch ein Kind des seinerzeit beginnenden Kalten Krieges. Die Spaltung der Nation vor Augen, reagierten die damaligen Politiker der westdeutschen Zonen eher reserviert auf diese Ansinnen ihrer Besatzungsmächte. Letztendlich beugte sie sich aber dem Druck und der Notwendigkeit, einen organisatorischen Rahmen für ihr politisches Handeln zu schaffen und dem deutschen Volke wenigstens einen Teil seiner Souveränität zurückzugeben. Aus diesem Grunde wurde versucht, von Anfang an die Idee aufrechtzuerhalten, die Weststaatsgründung und das dazugehörige zu schaffende Verwaltungsstatut wären nur eine vorübergehende Maßnahme. Es sollte sich also nur um ein Provisorium handeln, einen von den Umständen aufgezwungenen Notbehelf, einen Ersatz mit nicht vorhersehbaren Ende. Deshalb wurde auch der Name des zu schaffenden rechtlichen Konstruktes so gewählt, um nicht den Eindruck einer Vollverfassung zu erwecken: Das Grundgesetz. Es sollte eben nur eine schlichte und einfache Basis sein, ein rechtlicher, notwendiger Rahmen, um quasistaatliches Handeln einigermaßen zu ermöglichen. Aus diesem Grunde wurde die Idee auch verworfen, diese provisorische Gesetzesgrundlage, durch eine Volksabstimmung endgültig zu legitimieren. Erst nach einem Ende der Besatzungszeit, einer wie auch immer gedachten Wiedervereinigung, sollte sich das deutsche Volk eine neue Vollverfassung geben können. Es waren aber nicht nur die betroffenen Politiker der teilweise wiedergegründeten, westdeutschen Parteien, die sich mit dem Entwurf und Vollendung des zu schaffenden Verfassungstextes beschäftigten. Auch einige sogenannte Pressuregroups, Interessensvertretungen und die ein oder andere ehrwürdige und Äonen überdauernde Institutionen, wie die Kirchen, versuchten ihre Vorstellungen, Ideen, Absicherung von Privilegien in diese vorübergehend geltenden Gesetzesssammlung zu integrieren und festzuschreiben. Gerade Letztere waren in dieser Absicht erfolgreich und erreichten sogar eine referenzierte Fortdauer einiger sie betreffender Textpassagen der Weimarer Verfassung.
Bonn.- Hinweisschilder zum Parlamentarischen Rat, CDU Königswinter und SPD Honnef. September 1948.
Eine weitere mächtige und wiedergegründete Interessensgemeinschaft waren die Gewerkschaften in den westlichen Zonen. Auch sie Die hier präsentierte Magisterarbeit stammt aus dem Jahre 1994 und setzt sich mit der Rolle der westdeutschen Gewerkschaften bei der Erstellung des Grundgesetzt 1948/1949 auseinander. Zuerst wird die allgemeine politische Situation der einzelnen Gewerkschaften der Zonen nach ihrer Widergründung eingehend beschrieben. Daran schließt eine Erläuterung der nach 1945 entwickelten politischen und wirtschaftlichen Konzeptionen an. Darauf aufbauend werden die Durchsetzung der gewerkschaftlichen Ziele, Ideen und Vorstellungen, der einzelnen westlichen Zonen im Verfassungsgebungsprozess in den einzelnen Ländern untersucht. Im zweiten Hauptteil geht es dann um die Reflexionen, Relationen und Reaktionen der westdeutschen Gewerkschaften auf die Weststaatsgründung und der damit verbundenen Erstellung eines verfassungsrechtlichen Konstrukts. Von der gängigen historischen Forschung wird bis heute die konsequente Errichtung eines zonenübergreifenden gewerkschaftlichen Verfassungsausschuss ignoriert, der auf vielen Wegen und über diverse Persönlichkeiten versuchte, auf die Beratungen des Parlamentarischen Rates Einfluss zu nehmen. In Teilen ist dies auch sogar gelungen, wie bei der Errichtung des Bundessozialgerichts, aber nicht bei der Verankerung des Streikrechts in Artikel 9 des Grundgesetzes. Die hier vorliegende Untersuchung zeigt, den nicht unerheblichen Anteil der westdeutschen Gewerkschaften an der Entstehung des Grundgesetzes.
Download: Magisterarbeit Westdeutsche Gewerkschaften und Grundgesetzt