Stephan Rechberger
Informatiker & Historiker
Licht des Wissens und der Erkenntnisse |
Es gibt Zeitgenossen, die unsere Epoche als Informationszeitalter bezeichnen. Manche meinen, wir leben in einer Informationsgesellschaft. Die Informationen scheinen uns zu prägen. Unmöglich, ihnen auszuweichen. Sie sind überall.
Schwirren durch die Luft. Eine wahre "Informationsflut". Das klingt bedrohlich. Sind Informationen gefährlich, wie hoch ansteckende Krankheiten? Oder wirken sie, wie Drogen? Machen sie uns süchtig, high, euphorisch?
Was sind eigentlich "Informationen"? Im analogen Zeitalter hätte das im Hause befindliche Lexikon weitergeholfen. Für eine tiefere Klärung hätte sich der Besuch einer Bibliothek angeboten. Dort können weitere Nachschlagewerke,
Handbücher und Enzyklopädien zu Rate gezogen werden. Das kostet Mühe, Zeit und verursacht körperliche Bewegungen. In der digitalen Ära schaltet der Neugierige seinen Laptop, Smartphone oder Tablet ein, ruft eine Suchmaschine im Internet auf,
tippt dort den Begriff "Information" ein, drückt auf Enter und bekommt unendliche viele Antworten zur Auswahl. Der Weg über das Internet ist anders, Kräfte und Zeit sparend, aber - und das sei jetzt schon verraten - das Ergebnis bleibt
am Ende das Gleiche.
Die Websites geben im Prinzip nur das her, was vorher in Jahrtausenden zu Papier gebracht, in Stein gehauen oder auf Tontafeln gekratzt wurde. Und wieder scheint die Bibel recht zu behalten.
Im Buche Kohelet 1,9, also im ältesten Teil der heiligen Schrift, heißt es: "Es gibt nichts Neues unter der Sonne." Die Technik und der Weg sind anders, das Ergebnis bleibt das Gleiche.
Was aber bei der Masse der Antworten auffällt: Es gibt jede Menge sinngleiche Worte für Information: Nachricht, Botschaft, Mitteilung, Auskunft, Hinweis, um nur einige zu nennen.
Das freut Dichter, Autoren und alle anderen Schriftgelehrten, wenn sie bei der Abfassung eines nett klingenden Textes, Artikels oder Buch mit so vielen verschiedenen und bunten Bezeichnungen das gleiche umschreiben können.
Das macht das Ganze lesbarer, farbiger und unterhaltsamer. Wohl kein anderes Wort in der deutschen Sprache hat so viele Synonyme, wie Information. Könnte das ein Hinweis sein, wie wichtig den deutsch sprechenden Menschen dieser Begriff ist?
Vielleicht.
Aber schauen wir uns konkret an, was die Suchmaschine im weltweiten Datennetz auf verschiedenen Servern gefunden hat. Hier eine Erklärung des Begriffs, die sich ausdrücklich an den menschlichen Nachwuchs richtet.
Anscheinend müssen schon die Kleinsten wissen, was sich hinter dem Begriff verbirgt: "Eine Information ist ein Stück Wissen. Das Wort kommt aus dem Lateinischen und ist verwandt mit unserem Wort ‚Form', im Sinne von Aussehen oder Gestalt." (Zititiert nach:
Kleinlexikon) Aha, ein "Stück Wissen". Wissen besteht aus Informationen. Wissen lässt sich auseinandernehmen und in viele kleine Informationen zerlegen. Verhält sich das Wissen zur Information, wie das Atom zum Elektron, der menschliche Körper zu Wasser,
ein Tisch zu Holz und hat Wissen noch andere Bestandteile, außer Informationen? Also der erste Satz dieser Erklärung hinterlässt immer noch eine Menge Fragen, aber immerhin haben wir erfahren: Wissen setzt sich aus Informationen zusammen. Wie, bleibt fraglich.
Nicht nur Ruine blieben von den Römern. Auch ihre Sprache blieb als Hinterlassenschaft. |
Aber fahren wir fort: Das Wort "Information" stammt aus dem Lateinischen. Eine Sprache, der sich einst ein mittelitalienisches Volk aus Latium bedient hat. Ursprünglich friedliche Hirten, die auf sieben sanften und sagenhaften Hügeln ansässig waren,
wurden diese mit der Zeit immer militaristischer, aggressiver und terroristischer. Sie unterwarfen sich erst die unmittelbaren Nachbarn, griffen immer weiter aus und beherrschten am Ende eine gewaltige Fläche, die das Mittelmeer vollkommen
umschloss und von Süden Schottlands bis zum Roten Meer reichte. Sie nannten es "Imperium Romanum". Mehrere Jahrhunderte verbreiteten sie so ihre Kultur, ihre Lebensweise und ihre Sprache unter die beherrschten Völker. Dann zerfiel dieses Reich.
In der Westhälfte siedelten sich wilde Barbaren aus dem Norden und Osten an. Als geistigen Nachlass vererbte das Imperium im Westen den unkultivierten Einwanderern die katholische Kirche. Diese bewahrte das kulturelle Erbe der Römer, wie in einen
Kühlschrank in alter Frische auf. Mit dieser geistigen Nahrung der Antike, fütterte die christliche Religion Goten, Vandalen, Franken, Alemannen und andere germanische Stammesangehörige. Dabei fanden viele Bestandteile der antiken Sprache in der
Kommunikation der Wilden ihren Platz. Denn bei diesem Prozess wurden unzählige lateinische Begriffe, wie Kuckuckseier im Nest, in dem Vorläufer unserer Sprache abgeladen, die wir heute als "Deutsch" bezeichnen. Beispielsweise das Wort "Fenster",
welches sich vom Lateinischen "fenestra" ableitet. Für diese unerhörte bautechnische Innovation der Römer fehlten den Barbaren ein Begriff, da deren Behausungen keine lichtdurchlässigen Öffnungen hatten. Das Wort "Information" war bei
diesen frühen kulturellen Sprachtransfer nicht dabei. Auch nicht im Umfeld des die germanischen Stämme zähmenden Christentums. So ist in der kirchlichen Liturgie von "Verkündigung der frohen Botschaft", lateinisch "Evangelium", die Rede und nicht
von der "frohen Information". Auch "informieren" Gott, sein Sohn, die Propheten und andere Heilige in der Bibel nicht das Volk Israel, die Schar der Gläubigen oder sonst jemanden. In der ganzen Heiligen Schrift oder in einer gehaltenen Messe kommt
das Wort "Information" so gut wie nicht vor. Trotzdem: Der Begriff ist zweifelslos lateinischen Ursprung. Wie ist er dann in unsere Sprache gelangt, wenn nicht über die Kirche?
Aber es gibt noch andere Verdächtige, die die deutsche und auch andere europäische Sprache mit weiteren latinisierten Worten angereichert haben. Diese traten fast 1000 Jahre nach dem Untergang des römischen Reiches auf:
Die Humanisten des Spätmittelalters. Ab dem 14. Jahrhundert gab es in der damaligen übersichtlichen Gelehrtenwelt den Trend, sich auf Sprachen, Werte und Kunst der fast schon vergessenen Antike zu besinnen. Griechen und Römer feierten ein langanhaltendes Revival.
Davor galt die Zeit des Altertums den mittelalterlichen Menschen als eine Ära der bösen, teuflischen und unchristlichen Dunkelheit. In diesem Abschnitt der Menschheitsgeschichte wurden mit reinen Gewissen, heidnische Tempel, einstmals nützliche Aquädukte,
pompöse Grabmäler, Theater und Arenen flächenendeckend und über Jahrhunderte abgerissen und das so gewonnene Baumaterial anderweitig für Burgen, Wehrtürme, Kirchen, Wohnhäuser und Stadtmauern genutzt. Kunstvolle Ornamente, wundervoll gehauene Statuen und
einstmals wertvolle Büsten landeten bedenkenlos im Ofen. Schätzungsweise 98 Prozent des antiken baulichen Erbes gingen so endgültig verloren. Und dann kam die geistige und kulturelle Wende, die wir heute als Renaissance bezeichnen.
Plötzlich gab es einen regelrechten "Run" auf Baudenkmäler, Kunst und Schriften der Römer und Griechen, der Professoren, Doktoren und Studenten der Universitäten erfasste und auch Bischöfen, Kardinäle und sogar Päpste in ihren Bann zog. Auch Latein, Griechisch und
Hebräisch als Sprachen der Antike wurden nun genau und eingehend studiert. Die Gelehrten bemühten sich ihre ursprüngliche und reine Form wiederzufinden und exakt so zu verwenden, wie es die alten Römer sprachen und schrieben. In der vorangegangenen Epoche hatte
sich vornehmlich Mönche, Nonnen und Priester des Lateinischen bedient, aber jeder so, wie er wollte, konnte und mochte. Das sogenannte "Mittellatein" war eine vielfältige und bunte Mischung volkssprachlichen und antiken Elementen. Grammatik, Satzbau, Deklinationen
wurden eher nach Lust und Laune beachtet oder ignoriert. Das änderte sich grundlegend am Ende des Spätmittelalters. Wer etwas auf sich hielt, sich nicht blamieren wollte und auf seinen Ruf als Gelehrter achtete, bemühte sich ein reines und gutes Latein
zu sprechen und zu schreiben.
Gleichzeitig erfuhren die Landessprachen eine Aufwertung. In der Kirche war es im Mittelalter üblich, die Messe in Latein abzuhalten. Außer dem Priester, der die Veranstaltung leitete und einige gebildeten Besuchern, verstand niemand so richtig, was da vor sich ging.
Zeitgleich mit den ersten Humanisten traten einige nationale Kirchenreformatoren auf. Sie forderten den Gottesdienst in der Sprache des Volkes durchzuführen. Außerdem setzten sie sich das Ziel, die Bibel in die jeweilige Landessprache zu übersetzen.
Nur wer versteht, kann fest glauben, so ihr Postulat. Bisher hatte es vollkommen ausgereicht, wenn die Diener Gottes genug Einsicht in die religiösen Schriften hatten und die Geheimnisse des Glaubens kannten. Bauern, Knechte, Handwerker, aber auch Ritter
und Adel wollten die damaligen Religionsführer mit nicht zu viel Kenntnissen über Gott und sein Wirken in der Welt belasten. Es war aus ihrer Sicht unnötig, dem einfachen Volk das Lesen oder Schreiben beizubringen oder sie zum eingehenden Studium der
Heiligen Schrift anzuhalten. Die Priesterkaste verstand sich als unmittelbaren Vermittler zwischen Gott und dem Menschen. Sie sagten der Bevölkerung, wo es in Glaubensdingen lang ging. Nur so ließ sich nach ihrer Ansicht ein einheitlicher Glauben bewahren.
Thomas von Aquin: "Informieren mit Verstand" |
Trotz des zähen und anhaltenden Widerstands der Kirchenoberen, rückte das Individuum und seine Befähigung zu eigenständigen Erkenntnissen in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Religionseliten verschlossen sich nicht generell der Diskussion und waren auch eifrige
Förderer der Kunst und Kultur ihrer Zeit. Aber die Deutungshoheit über Gott und die Welt, sollte weiter ihnen vorbehalten sein. Nichtsdestotrotz machten sich humanistische Gelehrte und Kirchenreformer Gedanken, wie der Mensch befähigt werden könnte, sich selbst
Erkenntnisse über Gott, das Universum und über die eigene Existenz anzueignen. Dazu mussten die Menschen systematisch und kritisch urteilen können. Dafür nahmen die Humanisten die Werke eines hochmittelalterlichen Denker Thomas von Aquin (1224/1225 - 1274) zur Hand.
Hier findet sich die lateinische Quelle aus der die humanistischen Gelehrten das Wort "informieren" schöpften. So feierte der Begriff in der ersten deutschen Übersetzung seine Premiere. In Summa theologiae heißt es: "similiter etiam non est ibi medium secundum,
scilicet aliqua species essentiae divinae intellectum informans" (Quelle:Mittelhochdeutsches Wörterbuch). Das bedeutet: Gott ist mit dem menschlichen Verstand
weder direkt, noch über andere Wege, zu erfassen. Und: Intellekt und informieren bilden hier noch eine notwendige Einheit. Übersetzt in das damalige Mittelhochdeutsch: "ouch enwirt da [in dem ewigen Leben] dekein mittele nach dekeinen gestelnüssen
der gotlicher wesunge informierende daz verstan". Wie der Töpfer mit der Hand ein Gefäss eine Form gibt, so nutzt der Mensch seinen Verstand, um Erkenntnisse eine Form in seiner Vorstellung zu geben.
Thomas von Aquin hat das aristotelische Denken mit dem katholischen Glauben in Einklang gebracht. "Fast überall lehnt er sich so eng an Aristoteles an, dass der Stragirit (Aristoteles wurde in Stageira auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki geboren.
Von seinem Geburtsort leitet sich der hier von Russel verwendete Beiname "Stragirit" ab.) beinahe die Autorität eines Kirchenvaters besitzt." (Zitat Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, München 4 2007, S. 462). Das ist umso erstaunlicher,
da Aristoteles ein alter Heide war und ein viertel Jahrtausend vor dem Wirken Jesus Christus seine umfangreichen Schriften niederlegt hatte. Andere Kirchengelehrte vor Thomas von Aquin hatten sich mit dem griechischen Denker auseinandergesetzt, aber nie so
intensiv. Die aristotelischen kritischen Methoden, die eingehende Analyse, die unbestechliche Logik, das Einschalten des Verstands und das Setzen auf sinnliche Erfahrung als Hauptstütze für das Folgern von Erkenntnissen, standen nicht grundsätzlich
im Widerspruch zum gelehrten Christentum. Im Gegenteil: Thomas nutze dieses methodische Denken des Aristoteles, um die christliche Religion und ihre verkündeten Dogmen eine stärkere Überzeugungskraft zu geben. Bis dahin herrschte im Abendland allgemein
die Meinung vor, die Bibel, die Kirchenväter und die ganzen christlichen Lehren würden ausreichend für die absolute Wahrheit stehen. Das musste nicht begründet oder gar hinterfragt werden. Zu dieser Zeit gab es noch eine andere große konkurrierende Religion:
Den Islam. In dieser Hinsicht galt für beide Religionen das Schwert als Hauptargument für die Überlegenheit der jeweiligen Glaubenswelt. Die "Überzeugungsarbeit" wurde in der Hauptsache in mehreren Kreuzzügen und der Reconquista auf dem Schlachtfeld ausgetragen.
Thomas von Aquin beschritt revolutionär einen anderen Weg: Die Heiden sollten durch gut begründete Argumente und glasklare Beweise von der Lehre Jesu überzeugt werden. Natürlich stehen in seinen Schriften am Ende einer jeden Beweisführung, Argumentation und
rationalen Schlussfolgerung die strahlende Wahrheit des christlichen Glaubens. Spätere Kritiker haben ihn vorgeworfen, er hätte keine richtige Philosophie betrieben. Philosophische Untersuchungen wären grundsätzlich vom Ergebnis offen und nicht vorgegeben.
"Bevor er zu philosophieren beginnt, kennt er bereits die Wahrheit; sie ist im katholischen Glauben geoffenbart." (Zitat Bertrand Russel, Philosophie des Abendlandes, München 4 2007, S. 472). Ein hartes Urteil, welches Thomas von Aquin nicht gerecht wird. Er hat die christlichen Wahrheiten nicht einfach - wie bis dahin üblich - h
ingenommen, sondern eben systematisch einer grundlegenden Analyse unterzogen und das war revolutionär und neu. Statt einfach nur mit den Wahrheiten des Glaubens abzufinden, wurde untersucht, geprüft, geforscht und nachgedacht. Dafür wurden die Sinne, das Denken und
der Verstand voll eingesetzt. Damit hat Thomas von Aquin einen Standard in das abendländische Denken eingeführt, der bahnbrechend war. Ein "Big Bang" der Geistesgeschichte. Ohne diesen wären alle nachfolgenden Fortschritte, Erkenntnisse, Erfindungen und
Ideen nicht möglich gewesen. Das war die Grundlage des Humanismus, der Renaissance und dies hatte auch maßgeblich Einfluss auf Kunst und Kultur der nachfolgenden Epochen.
Zweifel wachsen im ausgehenden Mittelalter |
Schon eine Generation nach dem Tode von Thomas von Aquin begann die neue Epoche, die wir heute als Renaissance bezeichnen. Es waren in erster Linie Künstler und Literarten, die zunächst eine neue Zeit südlich der Alpen einläuteten. Die Revolution begann in der malenden Zunft:
Die Bilder bekamen plötzlich Perspektive, Raum, wurden plastischer, sinnlicher und waren näher an der Wirklichkeit. Der Florentiner Maler Giotto di Bondone (1267 oder 1276 - 1337) war einer der Ersten, der hier die künstlerische Wende einleitete. Gemalte Bilder wurden
vordem eher als spärliche und entbehrliche Dekoration in den Kirchen genutzt, die von den Themen und der Darstellung stark genormt, standardisiert waren und wenig Platz für Kreativität ließen. Giotto zeigte den Kirchenfürsten, Stifter und Kirchgängern was Kunst
kann und stieß auf begeisterte Zustimmung. Die Malerei machte den Glauben für ein breiteres Publikum sinnlicher, erfahrbarer, interessanter und überzeugender. Ebenfalls erlebte die fiktionale und unterhaltende Literatur eine Wiederauferstehung.
Dante (1265 - 1321) schrieb einen Fantasyroman über eine Reise in die Hölle und in den Himmel, Petrarca setzte seiner Liebe zu Laura in seinen Versen ein immerwährendes Denkmal und Boccaccio erfand mit dem Decamerone die Shortstorys. Das geschriebene Wort
diente nicht länger nur der geistigen Erbauung, der Vertiefung des Glaubens. Es waren nicht nur an die des Lesens kundigen Theologen, die sich auf dem damaligen Büchermarkt tummelten. Eine andere Gestalt betrat die historische Bühne und veränderte Kunst,
Kultur, Gesellschaft und Politik nachhaltig: Der Bürger.
- Hier sind in erster Linie die Bewohner einer Stadt gemeint, die innerhalb der Mauern leben das Bürgerrecht innehaben. Wie Max Weber dazu bemerkt: "Bürgertum kann einmal bestimmte Klassen in sich begreifen, die sich in einer ökonomischen Interessenslage
spezifischer Art befinden; in dieser Begrenzung ist die bürgerliche Klasse nichts Einheitliches; Großbürger und Kleinbürger, Unternehmer und Handwerker zählen in gleicher Weise zu ihr." Zitat Max Weber, Wirtschaftsgeschichte - Abriß der universalen Sozial- und
Wirtschaftsgeschichte, herausgegeben von S. Hellmann, M. Palyi, Berlin3 1958, S. 270 -
Mit dem Kollaps der antiken Kultur hörten die Herzen der römischen Städte auf zu schlagen, verödeten, verfielen und einige verschwanden für immer, als hätte es sie nie gegeben. Andere ehemalige Metropolen fristeten ein karges Dasein, in erinnerungslosen Ruinen als
Sitz eines geistigen Herren. Handel und Wirtschaft stagnierten auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Straßen der Römer, die einstmals die Städte fest und zuverlässig verbanden, verloren sich im Nichts, wurden zu Feldwegen, überwuchert und umgeben von üppiger Natur.
Jahrhunderte lang überdauerten so die ehemaligen Zentren des städtischen antiken Lebens in einem unruhigen Dornröschenschlaf. Und dann erwachten sie. Küssten sich selbst wach. Begannen wieder Handel miteinander zu treiben. Organisierten und ordneten sich selbst neu.
Ein gemeinsames Interesse, ein umspannendes neues Bewusstsein, der in den Mauern einer Stadt wohnen Handwerker und Händler entstand. Sie erkannten sich selbst als etwas Anderes, Neues und sahen ihre Möglichkeiten, ihre wachsende Macht innerhalb der mittelalterlichen
Gesellschaft. Sie waren keine Fürsten, keine Ritter, keine Priester, keine Bauern und drängten auf die politische Bühne. Und sie hatten etwas, was die anderen nicht hatten: Geld, Geld und nochmals Geld. Der stetig zunehmende Handel, die steigende Produktion, die
wachsende Effizienz ihrer Organisation macht sie reich und gesellschaftlich potenter.
Die wachsende Ökonomie bedingte eine bessere Bildung. Zuerst mussten die Basics erlernt werden: Lesen, Schreiben und ganz wichtig: Das Rechnen. Um den Überblick über die Geschäfte behalten zu können, müssen Einnahmen und Ausgaben niedergeschrieben werden,
mussten Gewinn und Verluste berechenbar sein. Die Kaufleute machten dabei eine ungeheure Entdeckung: Nicht nur Tuche, Schwertern, Getreide und Wein konnte als Handelsware dienen. Geld selbst konnte Geld verdienen, fortgesetzt, immer wieder und vermehrte sich von
alleine ungehemmt. Ein sich selbst in Gang haltender Kreislauf: Geld wurde verliehen, wurde zum Ankauf von Waren genutzt, diese wurden mit Profit an die Kundschaft gebracht und kam mit Zinsen und Zinseszins zurück an den Verleiher. Es entstand ein neuer Berufszweig:
Die Geldverleiher. Diese konnten bequem auf ihren Bänken (italienisch "Banchi") hocken bleiben und zuschauen, wie ihre Reichtümer sich von selbst größer wurden. Voller Dankbarkeit benannten sie ihr Geschäft nach diesem Möbelstück, um später sich selbst stolz als
"Bänker" zu bezeichnen.
Gerade bei dieser Tätigkeit stieß die herkömmliche Mathematik an ihre Grenzen. Für die immer kompliziertere und immer unübersichtlicher werdende Herumrechnerei mit verliehenem Geld und dem damit verbundenen Handelsgeschäften mussten neue, schnellere und
effizientere Wege bei Jonglieren mit den Zahlen gefunden werden. Italienische Kaufleute stießen auf bei der Suche ihre mathematischen Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, bei ihren muslimischen Kollegen auf eine überraschende Lösung: Eine andere Art Zahlen
dazustellen und mit diesen dann viel besser, effizienter und weitestgehender zu rechnen. Die Italiener übernahmen diese und benannten die neuartigen mathematischen Zeichen nach den vermeintlichen Erfindern: Arabische Zahlen. Die eigentlichen Entdecker dieser
revolutionären Form der Mathematiker, befanden sich weiter östlich der damaligen muslimischen Welt: In Indien. Die Bewohner des Subkontinents hatten schon im dritten vorchristlichen Jahrhundert angefangen, mit diesen Ziffern zu arbeiten. Damit nicht genug,
brachten die westlichen Kaufleute eine neue Zahl aus der muslimischen Welt mit: Die Ziffer 0. Gerade diese Übernahme war ein alles erschütternder Urknall. Ohne dies wären unsere Welt und unsere Vorstellung vom Universum unmöglich: Es gäbe keine Computer,
keine Raumfahrt, keine Luftfahrt, keine Autos, keine Eisenbahn, kein Internet und die Sonne würde einträchtig mit dem Mond noch unwidersprochen ruhig ihre Bahnen um die Erde ziehen. Kein anderer Name steht so für die Übernahme von 1,2,3,4,5,6,7,8,9,0
wie der von Leonardo Fibonacci (1170 - 1240) und wie sollte es anders sein, war er ein italienischer Kaufmann. Er kann als der Christoph Kolumbus der höheren Mathematik bezeichnet werden. Umtriebig, kontaktfreudig, aufgeschlossen für Neues und immer im
Orient auf Achse.
Das war die Situation, als Thomas von Aquin seine Werke schrieb und das systematische und kritische Denken in Theologie und Philosophie postulierte. Sein "Intellectum informans" fand bei den Kaufleuten, Händlern und Geldverleihern begeisterte Zustimmung.
Wer Handel trieb, musste sich seines wachen Verstandes bedienen, um nicht über das Ohr gehauen zu werden. Nicht nur der Theologe, auch der Kaufmann musste Behauptungen kritisch hinterfragen, logisch denken und Waren und Markt untersuchen, analysieren und bewerten
können. Deshalb fanden die in die jeweiligen Landessprachen übersetzten Schriften von Thomas von Aquin ihr dankbares Publikum wohl nicht nur unter den Gelehrten, Humanisten und geistigen Herren. Der Geist des kritischen Hinterfragens war aus der Flasche gelassen
und trieb schleichend sein Unwesen in der spätmittelalterlichen Gesellschaft. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die christlichen Lehren, Dogmen und die Handlungsweise der Priester, Bischöfe und Kardinäle von mehreren Seiten skeptisch neu bewertet und untersucht
wurden. Und diesmal sollte es sich nicht um ein simuliertes und vorsichtiges Prüfen, mit vorgegebenem Ergebnis handeln, wie in den Schriften des heiligen Thomas. Der Geist der theologischen Revolte und der gesellschaftliche Umsturz lag in der Luft. Und dazu gab
es ab 1378 noch zwei Päpste. Das hatte es früher auch hin und wieder gegeben. In der Regel klärte sich dies in einer übersichtlichen zeitlichen Periode und dann ging wieder alles seinen geregelten Gang in der Kirche. Das war nun anders. Das sogenannte
"große abendländische Schisma" dauerte bis 1417 und statt "nur" zwei Päpste gab es zeitweise sogar drei.
Und in dieser Situation gab es Theologen, die die Frage aufwarfen, ob es überhaupt auch nur einen Papst als Oberhaupt der katholischen Christenheit bedarf. Die Antwort für John Wycliff (1330 - 1384) lautete ganz klar: Nein! Der englische Doktor der Theologie
fand eine immer größer werdende Anhängerschaft, die seine Meinung teilte. Und der Gelehrte ging noch weiter; viel weiter: Hatten nicht die ganze Kirche, ihre Priester und geistlichen Oberhäupter zu viel politische Macht und Einfluss und war es nicht an der Zeit,
diesen radikal zu beschneiden? Und war die Verehrung der Heiligen notwendig, mussten Christen unbedingt den Priestern ihre Sünden beichten und durften Kleriker wirklich unter keinen Umständen verheiratet sein? Die Kirche reagierte mit einer Verdammung von
Wycliffs Lehre, er verlor seinen Einfluss am königlichen Hof, aber behielt seine Pfarrstelle und predigte ungehindert weiter. Die weltliche und geistliche Obrigkeit hatte zu viel Angst vor einem breiten Volksaufstand seiner zahlreichen Anhänger, als dass sie es
wagten, gegen ihn vorzugehen. Das Problem erledigte sich dann erst einmal von alleine, als er bei einer Messe einen Schlaganfall erlitt und kurze Zeit darauf verschied.
Die hohe Geistlichkeit bemühte sich in der Folge um eine strikte Zurücknahme der Kritik an ihrer gesamten Lehre. Auch die weltliche Obrigkeit war alarmiert. Im Zuge der Verbreitung von Wycliffs Predigten wurde auch zunehmend Kritik an der Herrschaft der Fürsten
und des Adels laut, die sich in England 1381 in einer Volksrevolte entlud. "Der große Bauernaufstand, von Historiker üblicherweise Peasants' Revolt genannt, war der erste große Volksaufstand in England." (Zitat Dan Jones, Spiel der Könige. Das Haus Plantagenet
und der lange Kampf um Englands Thron, London 2012, deutsche Übersetzung, München 2020, S. 571) Der Aufruhr hatte seinen Ursprung zwar in den ländlichen
Gebieten, aber auch die Kaufleute und Handwerker in den Städten schlossen sich dieser breiten Aufstandsbewegung an und brachten die gesellschaftliche und politische Ordnung ins Wanken. "Aber die Bauernrevolte von 1381 wurde ihn (Wycliff) in die Schuhe geschoben,
zumal seine Anhänger von Oxford aus ohne bischöfliche Lizenz, in groben Wollkleidern predigend, kritisierend und polemisierend durch die Lande zogen." (Zitat Kurt Kluxen, Geschichte Englands: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart3 1985, S. 159)
Auch wenn Wycilff nicht die Absicht hatte, den gesellschaftlichen Umsturz herbei zu reden, hatte er das Feuer
an die Lunte gelegt und mit seinen Ideen das Pulverfass zum Explodieren gebracht. Es waren "seine Anhänger", die das Ganze zu Ende dachten und dann konsequent zum Aufstand aufriefen. Am Ende konnte nur mit Mühe und Not, mit brutaler Gewalt der Revolte Einhalt
geboten werden. Die Ideen Wycliff verbreiteten sich weiter und wurden durch seine nach wie vor aktiven Anhänger fortgesetzt unter das Volk verbreitet. Sie wurden abwertend als "Lollarden" bezeichnet, nach einen in Niederlanden gebräuchlichen Schimpfwort für
religiöse Kritiker. "Luller", Leute, die in der Kirche leiserer singen. Die "Lollarden" fanden vornehmlich in den unteren gesellschaftlichen Schichten Anklang und ihre Prediger wandten sich kurioserweise unter anderen vehement gegen "Bildung, Universitätsgrade".
(Zitat Kurt Kluxen, Geschichte Englands: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart3 1985,S. 160). Ausgerechnet gegen die Dinge, die ihre Bewegung erst überhaupt möglich gemacht hatten.
Glauben durch Informieren (ohne Verstand) |
Die Büchse der Pandora war geöffnet. Der Zweifel an der kirchlichen und weltlichen Ordnung der Dinge war gesät. Und schon kurze Zeit später erschien ein weiterer kirchlicher Reformator, der ebenfalls eine große Anhängerschar hinter sich vereinen konnte:
Jan Hus (1370 - 1415). Auf dem Konzil von Konstanz (1414 - 1418), eigentlich eine Art spätmittelalterliches G20-Treffen, mit zahlreichen abendländischen Königen, Fürsten, Bischöfen und Kardinälen, sollte in erster Linie darüber getagt werden,
wie man die Anzahl der Päpste reduzieren könnte. Doch ein Seitenblick ging auch schon nach Böhmen, wo Hus und seine Anhänger immer mehr Einfluss erlangten und die in Konstanz tagenden Eliten fürchteten eine Wiederholung der Volksaufstände, wie sie Europa
in England erlebt hatte. Perfide wurde Jan Hus nach Konstanz gelockt. Hier könne er unverbindlich seine Thesen der gesamten versammelten feudalen Herrschaften vortragen, damit diese darüber unvoreingenommen beraten könne. Hus wurde freies Geleit garantiert.
Dieser fiel auf die leeren Versprechungen rein, begab sich nach Konstanz, wurde umgehend inhaftiert, abgeurteilt und zur Unterhaltung der Konstanzer Bevölkerung feierlich als Ketzer verbrannt. "Von Infektionskrankheiten wusste man noch nichts; der
schwarze Tod selbst wurde durch den Anhauch des Mundes, durch giftiges Wasser, oder am besten, durch teuflische Tränke der Juden erklärt. Geistige Ansteckung war sehr wohl als Begriff vertraut; der Ketzer war der Krankheitsträger und daher so rasch als
möglich durch das reinigende Feuer zu vernichten, das man gegen physische Seuchen als Schutzmittel ansah." (Zitat Richard Friedenthal, Ketzer und Rebell. Jan Hus und das Jahrhundert der Revolutionskriege, München 1977, S. 246)
Die Pest der Infragestellung, die fortgesetzte Kritik verbreitete sich aber weiterhin. Auch die Hinrichtung des Hus hatte das Feuer des Aufruhrs nicht austreten können. Im Gegenteil. In Böhmen kam es durch die Anhänger des Kirchenreformators, den Hussiten,
zu langanhaltenden Volksaufständen. Mit Ketzerverbrennungen und Gewalt alleine konnte die gesellschaftliche und kirchliche Ordnung nicht mehr Aufrecht erhalten werden. Es mussten auch publizistisch gegengehalten werden. So traf es das "Intellectum informans",
das Erfassen von Thesen, Ideen, Dogmen und Theorien mit dem Verstand. Intellekt und Informieren mussten getrennt werden. Das lief auf eine Kastrierung des Begriffs hinaus. Oder: Mit der Abspaltung des Verstandes wurden dem Informieren die Zähne gezogen.
Der harmlos mutierte Begriff tauchte dann auch schon relativ früh im 14. Jahrhundert in der ein oder anderen Predigt schon auf: "wir bitten mit allem himelschen her, wir sin gemanet mit dem go?tlichen gebotte und dem götlichen gesetzde informiert, das wir
geturren sprechen:'vatter unser'" Der himmlische Herr informiert über seine göttlichen Gesetze und Gebote und brav wird das "Vater unser" gebetet. Hinnehmen, zur Kenntnis nehmen und weil göttlich, auch nicht hinterfragen.
Das war der neue postulierte Informationsbegriff: Statt aktiv den Verstand zu nutzen und Dinge zu erfassen, kritisch zu hinterfragen, sollte nun passiv hingenommen werden, worüber die von Gott erwählte Obrigkeit informierte.
Möglicherweise kann die passive Interpretation des Begriffs auch über eine Übersetzung aus den Confessiones des Augustinus, Caput XX: "nam si primo sanctis tuis litteris informatus essem," ("Denn wäre ich zuerst durch die Heilige Schrift belehrt worden)"
hervorgegangen sein.
Die religiösen Dissidentenbewegungen wurden zwar fortgesetzt bekämpft, ließen sich aber, trotz aller Bemühungen, in der Folge nicht mehr endgültig ausmerzen. Weder mit Predigten, Ketzerverbrennungen, Gewalt, noch mit publizistischen Mitteln.
Gerade Letzteren erfuhren eine grundlegende und wesentliche Stärkung. In der Mitte des 15. Jahrhunderts hatte der gelernte Goldschmied Johannes Gensfleisch zum Gutenberg die Idee, in Metall gegossene Buchstabenformen in Farbe zu tauchen, um
sie anschließend auf Papier zu pressen. Diesen Vorgang konnte unendlich oft wiederholt werden und so entstanden Seite um Seite mit bedruckten Lettern. Eine technische Errungenschaft, die zum einen das umständliche und zeitaufreibende Kopieren
von Büchern per Schreibfeder überflüssig machten und publizierte Verlautbarungen konnten nun massenweise unter die kundige Leserschaft gebracht werden. Im Nachhinein ist diese Erfindung in der heutigen Gelehrtenwelt als einer der epochalen Höhepunkte gesetzt,
der das Mittelalter beendete. Vieles was darauf folgte, wäre ohne diese mediale Innovation und Sensation nicht möglich gewesen. Das ist mit Sicherheit richtig. Gerade die neu geschaffene Möglichkeit massenhaft Gedrucktes unter die Leute zu werfen,
hätte für einen unumkehrbaren Bewusstseinswandel bei allen Menschen gesorgt. Aber war es wirklich alleine die Möglichkeit, das geschriebene Wort massenhaft zu vervielfältigen, was so viel im Nachhinein verändert hat? Gutenberg, der "Erschaffer einer neuen Welt",
"der Medienrevolutionäre" (Georg Bönisch, "Mann des Jahrtausends", Spiegel Spezial Geschichte 2007, S. 52), "Mann des Jahrtausends" (Time-Magazin) oder das "Genie des Jahrtausends, ‚Höchstes Geschenk Gottes': Ohne Gutenberg ist Bill Gates nicht denkbar"
(Rudolf Stöber, "Das Genie des Jahrtausends") - spätere Autoren, Artikelschreiber und Medienschaffende überbieten sich noch heute an den
entsprechenden Gedenktagen, Erinnerungsjahren und Feierstunden mit fantasievollen Superlativen, vergöttlichenden Vergleichen und unkritischer Heroisierungen des ehemaligen Mainzer Unternehmers. Und weil das nicht genug erscheint, werden noch
unanfechtbare Autoritäten der deutschen Geistesgeschichte als Zeugen aufgerufen: Der Literatentitan der der deutschen Literatur Johann Wolfgang von Goethe adelt die Anfänge des Buchdrucks zur bedeutendsten Erfindung der Menschheit.
(Ulrike Rückert, 03.02.2018, 550. Todestag von Johannes Gutenberg Erfinder des Buchdrucks und Erschaffer einer neuen Welt)
Und Martin Luther selbst segnet die Vervielfältigung des geschriebenen Worts als "höchstes und letztes Geschenk, durch welches Gott die Sache des Evangelii fort treibet" . Und daraus folgt für die Sänger der Lobeshymnen:
"Die Reformation wäre kaum so erfolgreich gewesen, hätten die Reformatoren ihre Schriften nicht so leicht verbreiten können." tönte es zum 550 Todestag des ersten Mainzer Druckereibetreibers, der dann noch nebenher den ersten Verlag in Europa eröffnete.
Bei so viel geballter Autorität: Wer wollte da noch widersprechen?
Das änderte sich mit der Zeit. Schon im 16. Jahrhundert und im Zeitalter der Reformation war keine Rede mehr vom Gebrauch des Verstandes beim Informieren. Plötzlich gab es mehrere miteinander konkurrierende Zweige des Christentums, die um die
Deutungshoheit von Papst, Kirche, Bibel, Glauben, Heiligen intensiv rangen. Dieser harte Kampf um das Denken der Gläubigen wurde in erster Linie über die Kanzeln der Gotteshäuser ausgetragen. Die Christen mussten in die jeweilige Deutung der Religion
eingewiesenen werden. So hatten sich Prediger, Priester und andere Geistliche sich des Begriffes informieren endgültig bemächtigt und diesen ein anderes Verständnis gegeben. Ein eigenständiges Erkennen durch einen in Form gebrachten Verstand war dabei
eher hinderlich, als nützlich. "Darumb so ist es recht / notwendig / vnd nutzlich / das in disem neündten gebott deß menschen zung informiert wirt." (Bullinger, Heinrich: Haußbuoch. Zürich, 1558) "Auch allwegen am negsten Sontag daruor inn der Predigt
das Closter Gesind vnnd Discipuli notwendiglich informiert /vnd darzu mit allem vleiß vermant." (Braunschweig-Wolfenbüttel, Heinrich Julius von: Kirchenordnung Unnser, von Gottes Genaden, Julii Hertzogen zu Braunschweig und Lüneburg, etc. Wie es mit Lehr
und Ceremonien unsers Fürstenthumbs Braunschweig, Wulffenbütlischen Theils, Auch derselben Kirchen anhangenden sachen und verrichtungen hinfurt ... gehalten werden sol. Wolfenbüttel, 1569) In der Predigt hatte die Gläubigen still zu sitzen, den Worten
des Priesters zu lauschen, um über Gottes Gebote informiert und ermahnt zu werden. Der Verstand sollte bei dieser Unterweisung ausgeschaltet bleiben.
In den folgenden Jahrhunderten verfestigte sich diese passive und hinnehmende Deutung. Auch die weltliche Obrigkeit informierte in ähnlicher Weise ihre Untertanen und diese hatte das so brav zur Kenntnis zu nehmen. Eine Ausnahme gab es doch.
Der Astronom Johannes Kepler gebraucht den Begriff in einer physikalischen Bedeutung. 1609 schrieb er in einer Streitschrift: "Röslin/ der Himmel ist nit ein Element wie Wasser oder Lufft/ sondern ein Forma, die da alle Sternkugeln informirt."
(Kepler, Johannes: Antwort auf Röslini Diskurs. Prag, 1609) Der Himmel formt im wahrsten Sinne des Wortes alle Sterne ein. Diese Nutzung des Begriffes hat sich nicht durchgesetzt und blieb eine einmalige und kuriose Abweichung.
Zuletzt aktualisiert: 28.06.2023